BASA
190 A. Hufnagel I DIE QUELLE DES NATURRECHTS Dass Anselm das Naturrecht kannte und es nicht ablehnte, geht aus seinen gelegentlichen Ausserungen deutlich hervor. So schreibt er in seinem Hauptwerk Cur Deus homo im 20. Kapitel: Natura te docet, ut conserva tua, id est homo homini, facias quod tibi ab illo vis fieri; et quia qui non vult dare quod habet, non debet accipere quod non habet 5 . Von einem 'Recht' im engern Sinn dieses Wortes ist hier gewiss nicht die Rede, eher von einer Pflicht, die jedem Christen, ja jedem Menschen obliegt. Doch Anselm wusste aus seinem Vaterstudium, dass gerade dieser Satz, jeder müsse dem andern tun, was er wünsche, dass der andere ihm tue, aus Matthaus (7, 12) von den Vatern übernommen und zusammen mit demselben, nur negativ gewendeten Satz ans Tobias (4, 16) als oberster Satz des ius naturale angesehen wurde 6 • Denn kein Recht darf gegen diesen fundamentalen sittlichen Grundsatz verstossen, da dieser grundlegend ist für alles sittliche und rechtliche Verhalten 7 • Dieser allgemeine Rechtssatz aber gründet nicht in einem besonderen Gebot Gottes oder irgend eines menschlichen Gesetzgebers; Jer Mensch weiss vielmehr um ihn, weil die natura ihn dies lehrt. Was versteht nun Anselm hier unter natura? Obwohl diese Formel Natura docet in diesem Zusammenhang an den Satz J ustinians erinnert (I us natu– rale est, quod natura omnia animalia docuit ... 8 ), ist von Anselm mit natura hier sicherlich nur die spezifisch menschliche Natur gemeint; denn nur diese menschliche Natur kann den Menschen die genannte Handlungsweise lehren, nicht die allgemeine animalische, wie sich aus dem Text klar ergibt. Die menschliche Natur ist aber nach Anselm eine rationale, wie er oft genug betont u. In ihr ist also 5 p. 87, 15-18. 6 cf. dazu u.a. die Arbeiten von Otto SCHILLING, Naturrecht und Staat nach der Lehre der alten Kirche, Paderborn 1914; ds., Die Staats: und Soziallehre des hl. Augustinus, Freiburg i.Br. 1910. 7 vgl. z. B. Augustinus bei Schilling a. a. O . 170. 8 Dig. 1.1, t. 1 leg. 1 § 3 bei ALBERTI MAGNI Opera omnia, Ed. Colon. t. 28, p. 265, App. II ZU V. 76-266, 1. • z. B. Cur Deus homo 1.2, c. 1, p. 98, 4; Monologion cap. 69, p. 79, 12.
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